Graduiertenfeier der Absolvent*innen des WiSe 2022/23 | Dankesrede der Absolventin Hatifa Zouaidia

Am 9. Mai fand die die offizielle Graduiertenfeier der KHSB in der Kirche „Zur frohen Botschaft“ statt. Insgesamt 186 Absolvent*innen haben ihr Studium im Wintersemester 2022/23 an unserer Hochschule erfolgreich abgeschlossen. Präsidentin Gabriele Kuhn-Zuber beglückwünschte die Absolvent*innen ausdrücklich und anschließend bedankte sich die Masterabsolventin des Studiengangs Präventive Soziale Arbeit, Zouaidia Hatifa, in ihrer sehr persönlichen Rede ganz herzlich für die außergewöhnliche Studienzeit und die Chancen, die sich damit für sie eröffnen.

Hatifa Zouaidias Dankesworte und ihre Vision für wirksamen Kinderschutz und Kindeswohl können Sie hier nachlesen:

Herzlichen Dank! Ich freue mich sehr über diese Anerkennung.

Dank all den Menschen und Begegnungen im Herzen, die mich sehen wollten und konnten, so wie ich bin und stolz auf mich sind. Ich habe heute den Mut hier zu sprechen:

Ich bin ein Careleaver, als Kind mit der Volljährigkeit, aus der Kinder- und Jugendhilfe heraus, ins Leben gestartet, und weiß, welche unmenschlichen belastenden Herausforderungen hierfür nötig waren, um so weit in diesem System zu kommen. Mit meinem Masterabschluss in Präventiver Sozialer Arbeit mit Schwerpunkt Gewalt-und Kriminalprävention, einem Bachelor als Kindheitspädagogin und einigen Ausbildungen, ist es mir nun beruflich möglich, für den Kinderschutz wirksam zu sein und meine Ohnmacht aufzulösen, die ich als Kind, ohne Stimme und ohne Gehör erfahren musste. Ich möchte Kindern Gehör und eine Stimme geben!

Ich möchte dafür einstehen:

• Kindeswohlgefährdung zu erkennen und aktiv geeignete Hilfen finden, um dem entgegenzuwirken

• damit Kinder nicht ungesehen in kindeswohlgefährdeten Bedingungen 12 Jahre lang gefangen bleiben

• Ich möchte, dass im StGB der Strafbestand unter besonders schwerer Kindesmisshandlung, ein entsprechendes Strafmaß aufgeführt wird, um Kinder, als anspruchsberechtigt einen lebenslangen Rechtsanspruch und Therapieanspruch zu sichern und zu garantieren

• dass Geschwister bei Kindeswohlgefährdung und Inobhutnahme nicht voneinander getrennt werden

• dass kein Kind in unmenschlichen Verhältnissen zurückbleibt oder abgewiesen wird, wenn es um Hilfe bittet

• dass kein Kind auf der Straße leben muss und abgewiesen wird, wenn es um Hilfe bittet

• dass Careleaver sich nie wieder schämen und schuldig fühlen müssen, für das was man ihnen angetan und genommen hat

• dass Careleaver nicht länger ungesehen vom System und der Gesellschaft über Generationen hinweg, diskriminiert werden (Kinder ohne Eltern haben Kinder ohne Großeltern und diese Kinder tragen die Wunden der Eltern)

• dass das System und die Gesellschaft, die Verantwortung für Careleaver mittragen

• dass die Stiftung Brückensteine Careleaver von allen großen Unternehmen gefördert wird

• dass Careleaver begleitende und unbefristete Therapieangebote wahrnehmen dürfen, um Ihnen ein Leben und eine Zukunft zu ermöglichen und zu erhalten

• dass Opferentschädigung nach dem OEG auch ankommt, bedingungslos und sofort

• dass viel mehr Therapiezugänge geschaffen, ermöglicht und erleichtert werden

• dass Familien und Alleinerziehende früh und niedrigschwellig Sofort-Hilfen erhalten, damit bessere Bedingungen geschaffen werden, um Existenzängsten und noch mehr Druck entgegenzuwirken

• dass alleinerziehende Studierende nicht vierfach bürokratisch belastet werden, sich chancengleich aufs Studium konzentrieren dürfen und Zeit für ihre Kinder·bekommen, auch für Alleinerziehende hat der Tag nur 24 Stunden!!!

• dass Bafög nicht als Einkommen zählt und mit dem Lebensunterhalt der Kinder verrechnet wird

• dass das Kindeswohl im Umgangsrecht absolute Priorität bekommt und keine überholte Bindungstheorie

• dass chancengleiche Bildungszugänge und Bedingungen geschaffen werden.

Darum erfüllt es mich mit unglaublichem Stolz, dass der M.A Studiengang „Präventive Soziale Arbeit" ins Leben gerufen wurde. Er bietet so viel Potenzial in allen Bereichen Ohnmacht aufzulösen und macht Fortschritt und Weiterentwicklung im System und in der Gesellschaft endlich möglich.

Heute kann ich zurückblicken:

auf all diese Lebenserfahrungen, neben dem Studium und der Betreuung meines Kindes, die im Perspektivwechsel zu authentischen Berufserfahrungen gewachsen sind. Aber ohne Hilfe wäre mir dieser Weg als Careleaver und dieser Abschluss, so nicht möglich gewesen.

In diesem Sinne, möchte ich hochachtungsvoll, meinen herzenstiefen Dank an Frau Professorin Dr. von Lersner aussprechen, für die unglaubliche und jahrelange Arbeit, die in mir erst ein Fundament, eine Lebensgrundlage und schließlich goldene Ressourcen ermöglicht hat. Auch einen herzlichen Dank, an Frau Rauterberg und an all die Menschen im Herzen, die es mir heute möglich gemacht haben, ,,Stolz und Selbstvertrauen" in mir, angstfrei fühlen zu können. Und Zum Schluss möchte ich mich bei Herrn Prof. Dr Schubert und Frau Professorin Dr. Schwedler für die Betreuung und Unterstützung bei meiner Masterarbeit bedanken und für das großartige Jobangebot, mich auch wissenschaftlich im Bereich Kinderschutz wirksam fühlen zu dürfen. Gemeinsam mit der Traumstelle im Kinderschutzteam beim Jugendamt fühle ich mich das ERSTE Mal angekommen.

Jetzt sind die Türen auch für mich geöffnet und meine Geschichte bekommt endlich einen Sinn. Mit unfassbar viel Stolz und dem Glauben an mich selbst, kann ich heute durch diese Tür gehen, weil ich weiß, welche Herausforderungen hierfür nötig waren.

 

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Hatifa Zouaidia

 

Noch einmal herzlichen Glückwunsch an alle frisch gebackenen Absolvent*innen und alles Gute für die Zukunft!

Foto: KHSB