Hintergründe und Quellen des Comics
Einblicke in die Geschichte des Hochschulgebäudes: Ein Forschungsseminar deckt spannende Hintergründe auf.
Das Gebäude, das heute von der Hochschule genutzt wird, hat eine facettenreiche Geschichte, die weit über seine aktuelle Nutzung hinausgeht. Im Rahmen eines Forschungsseminars hat Prof. Dr. Franziska Wächter gemeinsam mit ihren Studierenden die spannende Entwicklung des Hauses untersucht. Was einst mit dem Krankenhausbau begann, wurde nach verschiedenen Umnutzungen schließlich zur neuen Heimat für akademische Forschung und Lehre.
Forschung im Dialog – Tauchen Sie ein in unsere Forschungsreise
„Die Höhe der Zeit ist aber nichts wert, ohne sich des Ortes bewusst zu werden, an dem sie verrinnt, und derer, die ihn vielleicht seit Jahrzehnten mit ihrem Dasein geprägt haben.“ (Meyerhoff 2025: 146)
Wir freuen uns, Sie zu einem hoffentlich anregenden und spannenden Einblick in unser Forschungsseminar an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin (KHSB) einzuladen.
Im Rahmen der Forschungsmethodenausbildung haben wir über zwei Semester hinweg (Wintersemester 2024/25 und Sommersemester 2025) an einem Thema gearbeitet, das nicht nur wissenschaftlich relevant ist, sondern auch für uns als Mitglieder der Hochschule von großer Bedeutung ist.
Was erwartet Sie auf den folgenden Seiten?
Das zweisemestrige Seminar im Rahmen der Ausbildung in empirischer Sozialforschung an der KHSB konzentrierte sich auf die raumbezogene Erforschung der Geschichte des Hochschulgebäudes. Ein Gebäude, so auch das unsrige, ist mehr als nur ein physischer Raum, es ist ein lebendiger Zeuge der Geschichte, der Geschichten und Emotionen sowie biografische Zeugnisse in sich trägt. Diese „Stimme des Gebäudes“ (Peterle 2021: 33) erzählt von den unterschiedlichen Nutzungen - als Krankenhaus in den beginnenden 1930er Jahren gegründet und im Stil des Bauhaus errichtet, als Gefängnis der Sowjetischen Militäradministration nach 1945 missbraucht, später als Agrarministerium der DDR genutzt und seit den 1990er Jahren als Hochschule etabliert, die junge Menschen in sozialen Professionen ausbildet.
Auf den folgenden Seiten können Sie einen Einblick in die umfangreichen Ergebnisse unseres Seminars gewinnen. Die Darstellungsweisen variieren, so finden Sie textbasierte neben visuellen Präsentationen. Unser Ziel ist, so den Zugang für eine differenzierte Beschäftigung zu eröffnen. Kernstück der Ausarbeitungen ist der Comic zum Gebäudekomplex. Ein Comic erzählt Geschichten und kann darüber beitragen, wissenschaftliche Informationen in einen Kontext zu setzen und die Aufmerksamkeit eines breit gefächerten Publikums zu erhalten.
Wie haben wir gearbeitet?
Das Seminar war geprägt von einer Mischung aus theoretischer Arbeit, praktischen Rechercheübungen und kreativen Diskussionen. Es verband qualitative empirische Forschungsansätze mit innovativen visuellen Methoden und kreativer Ergebniskommunikation. Die Studierenden erwarben theoretische und praktische Kenntnisse in sozialwissenschaftlicher Forschung. Sie recherchierten relevante fachwissenschaftliche Literatur, nutzten Archive, analysierten Bild-, Text- und Tondokumente, gewannen Erkenntnisse durch „walking interviews“ im sozialem Raum, sprachen mit Zeitzeug*innen und Expert*innen für den Stadtteil Karlshorst und das Gebäude.
Ziel all dieser forscherischen Arbeit war die Entwicklung eines Comics, der die verschiedenen Epochen und Nutzungen des jetzigen Hochschulgebäudes darstellt. Die Zusammenarbeit mit der Illustratorin Julia Zejn ermöglichte uns eine Veröffentlichung der Forschungsergebnisse in Comicform, die uns und Ihnen nun vorliegt.
Warum die Comic-Form?
Die Idee, das Darstellen und Verstehen von „der Gesellschaft“ (als soziologische Aufgabe) mittels Bilderzählungen anzugehen, ist nicht neu. Wissenschaftstheoretiker und Soziologie Otto Neurath entwickelte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit dem "International System of Typographic Picture Education" eine „internationale visuelle Sprache“ um soziale Tatbestände und gesellschaftliche Prozesse zu vermitteln (Keller 2013: 96). Auch die französischen Soziologen Pierre Bourdieu und Luc Boltanski gründeten in den 1970er Jahren ein „Comic-Fanzine der Soziologie“, um wissenschaftliche Inhalte und Forschungsergebnisse einer breiteren Öffentlichkeit niedrigschwellig zugänglich zu machen (ebd.: 113).
Tradition griff unser Seminar - Empirische Sozialforschung als Teilbereich der Soziologie denkend - auf, wenngleich bspw. Pepe (2023) für die Verwendung visueller Techniken im Forschungskontext (noch immer) feststellen muss, dass "the status of the 'visual' has often been viewed as a more naïve or simplistic form of communication" (ebd.: 12). Attribuierungen wie "unseriös", "leichte Unterhaltung" oder "kindisch" werden, so belegen Forschungen, auch Comics nach wie vor zugeschrieben (z.B. Kuttner et al. 2020, Peterle 2021, Moretti 2023). Noch in den 1950er Jahren war die Öffentlichkeit beispielsweise besorgt, dass Comics ihre Leser*innenschaft, hauptsächlich Kinder und Jugendliche, "zu Analphabeten machen" könnten (Abel/Klein 2016: 19). Ironischerweise finden Comics heute vermehrt Eingang in Bildungsprozesse, so auch an Hochschulen und Wissenschaftsorganisationen (Leinfelder et al. 2015).
Unterschiedliche Kommunikationsformen ermöglichen es, Bedeutungen auf eine Weise zu schaffen, die weder durch rein alphanumerische noch durch rein visuelle Mittel möglich wäre. Die Leser*innen von Comics sind damit keine passiven Rezipient*innen, sondern aktive Teilnehmer*innen, indem sie die Lücken zwischen den Sequenzen auf Basis eigener Erfahrungen und Wissensbestände schließen (McCloud 2001).
In die aktuelle Dekade geschaut, unterstreicht den Gedanken der Wissensvermittlung und Übersetzungsleistung auch O’Sullivan (2024), wenn er: „(…) the comic book’s potential for aiding knowledge transfer, initiating dialogue between interdisciplinary researchers, and attraction new audiences to academic work“ (ebd., S.162) heraushebt. Leinfelder et al. (2015) präzisieren diesen Aspekt weiter, wenn sie schreiben: „Insbesondere sind auch gesellschaftlich herausfordernde Themen bzw. Handlungsoptionen, welche bei der Verwendung anderer Medien sehr schnell zu reflexartiger Ablehnung führen, bei Comics durch die vielfältigen Möglichkeiten (…) besser transportierbar“ (ebd., S. 46). Die Comics inhärente Kombination von Bild und Text macht Inhalte zugänglicher, ohne dabei zu viel ihrer Komplexität zu verlieren. Diese Text-Bild-Relation ist ein hochkomplexes Gebiet, das in Comics eine zentrale Rolle spielt. Worte können unterstreichen, was ein Bild sagt, oder dem Inhalt des Bildes entgegenstehen. Bilder brauchen manchmal Text als Ergänzung, um die Botschaft klarer zu machen. Comics sind jedoch weit mehr als nur eine Verbindung von Wort und Bild; sie zeichnen sich durch „Multimodalität“ aus.
Dies ist insbesondere wichtig, um gesellschaftliche Zusammenhänge zu vermitteln und die Aufmerksamkeit („attention grabbing“) der Leser*innenschaft zu erregen (Jüngst 2010). Eine, im besten, auch demokratischen, Sinn gedachte, „Popularisierung von Wissen“ ist auch ein zentrales Anliegen unseres Projektes. Comics können Informationen leichter verständlich machen, indem sie Fachvokabular in Alltagssprache übersetzen und Informationen reduzieren, um den Kern einer Sache, auch historischer Ereignisse und Entwicklungen, zu erfassen.
„Dem Umstand einer nötigen Umfangbeschränkung geschuldet, konzentrieren sich Comicbiografien auf die visuelle Wiedergabe von Lebenssituationen in geeigneter Auswahl von Szenen oder Situationen, die für eine Biografie und das Handeln und Wirken eines Protagonisten als wichtig erachtet werden, und die sich im Erzählmedium Comic oft als spannende oder originelle Ereignisse darstellen lassen“ (Abel/Klein 2016: 300).
Das gilt auch für unseren Comic, der sich zudem keiner einzelnen Person und ihrem Lebensverlauf widmet, sondern das (ehemalige) Krankenhausgebäude und die mit ihm verbundenen Protagonist*innen in den Blick nimmt. Peterle (2021) macht genau in diesem Sinne, nochmals einen neuen Raum auf, da sie den Einsatz von Comic-art für „Geo-Graphic-Narratives“ vertritt. Sie sieht in diesem Ansatz u.a. eine Chance, Bürgerbeteiligung in Lebensräumen zu stärken und „Nachbarschaften zu erzählen“. Comics, so Peterle, “(…) activate an emergent, unceasing process of spatial reconfiguration and composition of meaning” (ebd., S. 3).
Die Erforschung der Geschichte des Gebäudes trägt nicht nur zur Identitätsbildung der Studierenden und Mitarbeiter*innen der KHSB bei, sondern ist auch eine Einladung an die Nachbarschaft der Hochschule. Durch die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit des Ortes kann ein Bewusstsein für die Rolle von Geschichte und Raum im eigenen Leben sowie in der Gesellschaft entstehen.
In einer Studie des Institutes für Hochschulforschung Wittenberg (Hechler/Pasternak, 2011) wird der KHSB bescheinigt, sich mit früheren Nutzungen – insbesondere mit Bezügen zur SBZ/DDR – verantwortungsvoll auseinandergesetzt zu haben. Mit Blick auf die doppelte Diktaturerfahrung möchten wir dies fortführen (z.B. mit Ursula Rumin), die Perspektive aber auch noch einmal erweitern, indem wir das Wirken von Menschen wie Paul Lazarus und Carl Ulitzka einbeziehen.
So wünschen wir dem Comic, dass durch unsere gewählte Darstellungsform die Reichweite der Ergebnisveröffentlichung erhöht werden kann und sich auch neue Zielgruppen angesprochen fühlen.
Forschungsreise mit offenen Enden
Wir laden Sie herzlich ein, sich durch unsere Arbeit, den Comic und all die weiteren gesammelten Informationen auf diesen Seiten anregen zu lassen und freuen uns auf Ihr Feedback! Die Forschungsreise ist nicht vorbei, da weiterhin Fragen offen sind – z.B. Wer hat die Antonius-Figur gestaltet? Woher stammen die figuralen Plastiken und Reliefs in der Kapelle? Haben Sie Antworten darauf?
Wir danken von Herzen all jenen, die uns ihr Wissen zur Verfügung gestellt, uns mit Engagement und Kreativität unterstützt und uns ihr Vertrauen geschenkt haben! Dies sind vor allem: das Erzbistum Berlin (als Förderer des Comics), Nachfahren von Prof. Dr. Paul Lazarus,
Viel Freude beim Entdecken wünscht Ihnen das gesamte Projektteam mit den Studierenden des Bachelor-Studiengangs Soziale Arbeit:
Henrietta Dunn, Vanessa Freyer, Elizaveta Kraineva, Lea Loana Lott, Agnes Lahuén Gottschalk Muñoz, Johanna Stabenow und
Prof’in Dr’in
Quellen
Abel, Julia und Christian Klein (2016) (Hrsg.): Comics und Graphic Novels. Eine Einführung, Stuttgart: Metzler
Hechler, Daniel und Peer Pasternack (2011): Deutungskompetenz in der Selbstanwendung. Der Umgang der ostdeutschen Hochschulen mit ihrer Zeitgeschichte. In: HoF-Arbeitsbericht 1/2011, Halle/Wittenberg: Institut für Hochschulforschung (HoF)
Jüngst, Heike Elisabeth (2010): Information Comics, Frankfurt a.M.: Peter Lang
Keller, Felix (2013): Gesellschaft als Comic. Soziologie als Bilderzählung. In: Hangartner, Urs, Felix Keller und Dorothea Oechslin. 2013. Wissen durch Bilder: Sachcomics als Medien von Bildung und Information. Bielefeld. Transcript, S. 93-129
Kuttner, Paul J., Marcus B. Weaver-Hightower and Nick Sousanis (2020): Comics-based research: The affordance of comics for research across disciplines. In: Qualitative Research, S. 1-20
Leinfelder Reinhold, Alexandra Hamann und Jens Kirstein (2015): Wissenschaftliche Sachcomics Multimodale Bildsprache, partizipative Wissensgenerierung und raumzeitliche Gestaltungsmöglichkeiten. In: Bredekamp, Horst und Wolfgang Schäffner (Hrsg.): Haare hören - Strukturen wissen - Räume agieren: Berichte aus dem Interdisziplinären Labor Bild Wissen Gestaltung, Bielefeld: transcript Verlag, S. 45-58
McCloud, Scott (2001): Comics richtig lessen. Die unsichtbare Kunst, Hamburg: Carlsen
Meyerhoff, Joachim (2025): Man kann auch in die Höhe fallen, Köln: Kiepenheuer & Witsch
Moretti, Veronica (2023): Understanding Comics-Based Research: A Practical Guide for Social Scientists, Leeds: Emerald Publishing
O’Sullivan, Stephen R. (2024): The Comic Book As Research Tool. Creative visual research for the social sciences, Berlin/Boston: de Gruyter
Pepe, Alessandro (2023): Using Image-Based Research Methods in Vulnerable Populations as a Culturally Sensitive Approach: Ethical and Methodological Aspects. In: Villa, Daniele and Franca Zuccoli (Ed.): Proceedings of the 3rd International and Interdisciplinary Conference on Image and Imagination. IMG 2021, Cham: Springer International Publishing, S. 11-17
Peterle, Giada (2021): Comics as research practice. Drawing narrative geographies beyond the frame, London/New York: Routledge
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