Paul Lazarus – Biografie und Wirken am St. Antonius-Krankenhaus
Paul Lazarus war ein bedeutender Mediziner und Pionier der modernen Strahlentherapie. Er wurde am 14. Oktober 1873 in Czernowitz (Bukowina) geboren und war das zweite und jüngste Kind des Arztes Joseph Lazarus und seiner Frau Babette. Die Bukowina mit der Hauptstadt Czernowitz war für Multikulturalität und Toleranz bekannt. Die Amtssprache der Region war damals Deutsch; sie gehört heute zur Ukraine. Paul Lazarus‘ Familie war jüdisch, doch seine Eltern galten als Freidenker und pflegten keine religiösen Traditionen. Sein älterer Bruder Norbert gründete später keine eigene Familie, verbrachte jedoch viel Zeit im Haushalt von Paul Lazarus. (vgl. Kelbert 2007; Mertens 2017; Scherer 2007).
Von 1884 bis 1891 besuchte Paul Lazarus das Gymnasium in Czernowitz. Schon während seiner Schulzeit begleitete er gern seinen Vater zu Krankenbesuchen, was seine Entscheidung, Medizin zu studieren, maßgeblich prägte. Zwischen 1891 und 1897 studierte er in Wien, Heidelberg und Berlin. Neben den Pflichtveranstaltungen arbeitete er freiwillig an verschiedenen medizinischen Instituten und Kliniken. Am 31. März 1897 promovierte er in Wien (vgl. Kelbert 2007; Scherer 2007). Noch im selben Jahr am 25. Mai begann er als Assistenzarzt an der Medizinischen Universitätsklinik Wien, wechselte jedoch schon am 1. Oktober an die Chirurgische Klinik derselben Universität. Dort erhielt er große Anerkennung sowohl für seine fachlichen Fähigkeiten als auch für seine wissenschaftlichen Arbeiten. Obwohl er ein hervorragendes Arbeitszeugnis erhielt, entschied er sich gegen die Chirurgie. Seine letzte Assistenzarztstelle trat er 1901 an der Medizinischen Universitätsklinik der Berliner Charité an. Dort lernte er den Klinikdirektor Ernst von Leyden kennen, mit dem er eng zusammenarbeitete (ebd.).
Lazarus fiel durch außergewöhnliches Engagement auf, so übernachtete er gelegentlich im Krankensaal, um die Patientinnen und Patienten besser zu verstehen. 1903 habilitierte er sich als Privatdozent an der Medizinischen Fakultät der Berliner Universität, die Approbation als Arzt folgte am 25. Mai 1904. Am 24. Juni 1907 wurde er zum Professor ernannt (vgl. Kelbert, 2007; Scherer 2007).
Bereits im Jahr 1907 begann die Zusammenarbeit zwischen Paul Lazarus und der Kongregation der der Marienschwestern. Von 1907 bis 1930 leitete er die Innere Abteilung des St. Marien-Krankenhauses in Berlin, Lausitzerstraße 41. Gleichzeitig übernahm er von 1907 bis 1936 die Leitung der staatlichen Krankenpflegeschule der St. Marienstiftung. Bewusst hatte er sich für ein kirchliches Haus entschieden, da ihn während seines Studiums die Vincentiner Ordensschwestern tief beeindruckt hatten. Dieses Erleben veranlasste ihn auch, sich im Alter von 23 Jahren katholisch taufen zu lassen.
Ab 1908 leitete Lazarus zudem die von Leydensche Privatklinik, zunächst in der Corneliusstraße in Berlin-Tiergarten, später im Grunewald. Sein Arbeitstag begann meist um 7:30 Uhr mit der Visite im St. Marien-Krankenhaus. Dort herrschte ein familiärer Umgangston. Assistenzärzte konnten Fragen stellen, Differenzialdiagnosen und Therapiepläne diskutieren. Lazarus bemühte sich, jeden neuen Patienten persönlich zu untersuchen.
Die morgendliche Visite dauerte meist zwei bis drei Stunden, anschließend arbeitete er in der Privatklinik bis zum Nachmittag. Gegen 15 Uhr hielt er zusätzlich Sprechstunden in seiner Wohnung für ambulante Patienten, ehe er zur zweiten Visite ins Krankenhaus zurückkehrte. Weiterbildung war ihm ein besonderes Anliegen, weshalb er beispielsweise Fachzeitschriften während der mehrfachen täglichen Straßenbahnfahrten las (vgl. Kelbert 2007; Mertens 2017).
1909 übernahm Paul Lazarus die Leitung der Krebsstation der Charité. Neben seiner ärztlichen Tätigkeit verfasste er ein Handbuch über Radiumbiologie und Therapie, das 1913 erschien (vgl. Kelbert, 2007).
1914, dem Beginn des Ersten Weltkriegs, meldete er sich als Kriegsfreiwilliger und stellte Krankenhausbetten im Marienkrankenhaus, „seine Privatklinik und seine ärztliche Tätigkeit dem Heer zur Verfügung“ (Kelbert 2007: 15; Dok.-Nr.1). „Er erhielt mehrere Orden für seine freiwillige medizinische Tätigkeit im Krieg“ (Kelbert 2007: 15).
Privat veränderte sich sein Leben nach dem Ersten Weltkrieg. Im Januar 1920 heiratete er Herta Rogowski. Mit ihr hatte Paul Lazarus zwei Töchter, Maria, geboren im August 1921 und Elisabeth, geboren im Juli 1923 (Kelbert 2007).
Zeitgleich zu seinen leitenden Tätigkeiten im St. Marien-Krankenhaus Berlin, der staatlichen Krankenpflegeschule, einer Privatklinik und seiner Tätigkeit an der Berliner Charité, war Lazarus von 1925 bis 1933 auch verantwortlich für die Organisation und Leitung der Internationalen Fortbildungskurse über Strahlen- und Heilkunde an der Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität. Hierzu findet sich ein Bild- und Tonzeugnis aus dem Jahr 1932, das Prof. Lazarus anlässlich einer Ausstellung und internationalen Kongresses zur Krebsforschung zeigt (
Seit Beginn seiner Beschäftigung bei den Marienschwestern im Jahr 1907 trieben Paul Lazarus Pläne für einen Krankenhausneubau um. „Die langjährige besondere Erfahrung in der Kunst der Krankenpflege hat immer mehr Kranke veranlaßt, bei den Marienschwestern Hilfe zu suchen, so daß die bisherigen Anstalten räumlich nicht genügten und der Neubau eines größeren Krankenhauses notwendig wurde. (…) Erst im Jahre 1928 gelang es den langjährigen Bemühungen des derzeitigen Kurators der Stiftung, Herrn Dr. Pollak, die großen Summen aufzubringen, die für den Bau des neuen Krankenhauses erforderlich waren. Aus caritativen Gründen nahm das Haus von den Projekten im Westen Abstand und entschloß sich, das neue Krankenhaus im Osten Berlins zu erreichten“ (Lazarus 1931: 4).
Gemeinsam mit dem Wiener Architekten Felix Angelo Pollak arbeitete Paul Lazarus an der Umsetzung der Idee eines Krankenhauses „(…) zur Ganzheitsbehandlung der Personalität, ja über die Individualmedizin hinaus zur Sozialmedizin“ (ebd.: 7). Nach nur anderthalb Jahren Bauzeit konnte das St. Antonius-Krankenhaus 1930 in Karlshorst eröffnet werden.
Im August 1929 schreibt Paul Lazarus an den (neuen) Kurator der Kongregation der Marienschwestern, Dr. Piontek: „Hochwürdiger Herr Kanonikus! Ihrer ehrenvollen Aufforderung, die Stelle des Primärarztes der Abteilung für innerlich Kranke, sowie jene des leitenden Arztes des gesamten Karlshorster Krankenhauses zu übernehmen, leiste ich mit Dank Folge. Ich bitte, überzeugt zu sein, dass ich nach besten Kräften das Karlshorster Krankenhaus in jeder Hinsicht zu fördern mich bemühen werde.“ (Dok.-Nr. 2) Im Februar 1930 erhält Paul Lazarus sein Anstellungsschreiben, unterzeichnet von Dr. Piontek und der Generaloberin Schwester Clotilde Mende: „Sehr geehrter Herr Professor! Hierdurch teilen wir ergebenst mit, daß Eure Hochwohlgeboren zum Chefarzt der inneren Abteilung des St. Antonius-Krankenhauses in Berlin-Karlshorst gewählt worden sind.“ (Dok.- Nr.3)
Das St. Antonius Krankenhaus galt für seine Zeit als ein außergewöhnlich modernes und fortschrittlich ausgestattetes Haus. Es verfügte über drei Hauptabteilungen; die Chirurgie, die gynäkologisch-geburtshilfliche Station sowie die Innere Abteilung. Insgesamt standen rund 400 Betten zur Verfügung, ergänzt durch separate Bereiche für 20 Patienten mit septischen Erkrankungen und 60 Tuberkulosepatienten. Jedes Krankenbett war mit einem Radio ausgestattet, eine Besonderheit, die den Patienten den Aufenthalt erleichtern sollte. Auch die Gestaltung der Räume war Teil der Heilungsphilosophie; farbenfrohe Zimmer, viel Sonnenlicht und frische Luft sollten Körper und Geist stärken (vgl. Lazarus 1931; Kelbert 2007). Die Natur spielte in der Behandlung eine zentrale Rolle. Alle Krankenzimmer waren so gebaut, dass sie nach Süden oder Osten ausgerichtete Fenster hatten. Patienten konnten im angrenzenden Kiefernwald spazieren gehen, um neue Kraft zu schöpfen, oder die Dachterrassen mit Liegestühlen nutzen, um das heilende Sonnenlicht zu genießen. Auch die Ernährung hatte einen besonderen Stellenwert. Im Haus befanden sich eine eigene Krankenhausküche mit Bäckerei und Fleischerei, die für jede Patientin und jeden Patienten die individuell richtige Diät zubereitete. Gesunde und ausgewogene Kost galt als ebenso wichtiges Heilmittel wie die medizinische Behandlung selbst (ebd.).
„In den von Lazarus entwickelten Anamnesebögen nahmen die Sozial- und Berufsanamnese sowie die leib-seelische Gestimmtheit des Patienten einen großen Raum ein. Für jeden einzelnen Patienten entwarf Lazarus einen Heilplan, der neben dem Einsatz modernster Heilmittel stets auch Vorschläge zu Lebensführung, Diät, Bewegung und seelischer Stärkung beinhaltete“ (vgl. Voswinckel 2022)
Das St. Antonius Krankenhaus in Karlshorst knüpfte an Entwicklungen der Krankenhausarchitektur ab den 1920er Jahren an (vgl. Verlohren 2019), setzte aber besondere Akzente. Architekt Felix Angelo Pollak konzipierte den Gebäudekomplex aus unterschiedlich hohen, weiß verputzten Baukörpern, die in eine parkähnliche Landschaft mit Kiefern eingebettet waren. Typisch für die Zeit waren große Fensterflächen, farblich differenzierte Fliesen, Klinker und eine strenge geometrische Gliederung. Anders als bei rein funktionalen Großbauten verstand man das St. Antonius ausdrücklich als Freiluftkrankenhaus, so gab es auch spezielle Einrichtungen für Bewegungs- und Terrainkuren. Ein Patientensender ergänzte die therapeutische Idee. Darüber hinaus war die Anlage fast selbstständig organisiert. Neben den OP- und Bettenbereichen gab es ein Schwesternwohnheim, eine Kapelle, eine Wäscherei, Bäckerei, Fleischerei, ein Heizhaus und ein Wasserwerk.
Damit stand das St. Antonius Krankenhaus zwischen Tradition und Moderne. Es griff die allgemeinen Tendenzen der Zeit wie Zentralisierung, Hygiene, Technik auf, verband sie jedoch mit einem stark natur- und freiluftorientierten Heilkonzept (vgl. Lazarus, 1931; Halling/Görgen 2014 ; Kelbert, 2007; Murken 1982).
Unter der Leitung von Paul Lazarus wurde zudem großen Wert auf Wissen, Weiterbildung und Zusammenarbeit gelegt. Mehrmals in der Woche organisierte er Symposien für Ärzte und Schulungen für Schwestern. „Krankenpflege ist kunstgerecht geübte Krankenliebe“ – so der leitende Gedanke der „(…) Krankenpflegeschule, in welcher dreimal wöchentlich Fortbildungskurse, Vorlesungen und praktische Übungen für die Krankenschwestern und Schülerinnen stattfinden“ (Lazarus 1931: 20). „Neben der allgemeinen Krankenpflege und den Errungenschaften der modernen Heilmethoden wurde besonderer Wert auf die psychische Betreuung der Patienten gelegt. (…) Die in der Krankenpflegeschule ausgebildeten Schwestern wurden angehalten, sich vom Primat der Caritas leiten zu lassen“ (Weigmann 1985: 15). „Außerdem werden für die gehfähigen Kranken in unserem Hörsaale hygienische Vorlesungen mit freier Aussprache gehalten“ (ebd.: 16). Von Beginn an war das St. Antonius-Krankenhaus also „auch ein Ausbildungskrankenhaus für allgemeine Krankenpflege“ (Weigmann 1985: 30). Diese Tradition wurde in den Folgehäusern bis in die Neuzeit weitergeführt.
Zwischen 1928 und 1931, d.h. in der Zeit des Neubaus und der Eröffnung des St. Antonius- Krankenhauses erscheint Paul Lazarus‘ zweibändiges „Handbuch der gesamten Strahlenheilkunde, Biologie, Pathologie und Therapie“. Im Rahmen der Arbeit zu diesem Handbuch der Strahlenheilkunde hatte Paul Lazarus Kontakt „zu den international renommierten Strahlentherapeuten und Physikern seiner Zeit“ (Kelbert 2007: 65). So stand er im Austausch mit Marie Curie, die zwar letztlich nicht am Handbuch mitwirkte, „Sie blieb aber in Kontakt mit Paul Lazarus, der immer wieder kleine Mengen radioaktiver Elemente bei ihr bestellte“ (ebd.: 66). Auch mit Albert Einstein stand Lazarus im Austausch und konnte ihn für einen Text im ersten Teil des Handbuchs gewinnen, der den Titel „Vier physikalische Fragen. Beantwortet von Albert Einstein“ trägt (vgl. Lazarus 1928; Scherer 2007).
Im Oktober 1932 ehren diverse Berliner Zeitungen Paul Lazarus für sein 25-jähriges Dienstjubiläum in der Leitung der Berliner Krankenhäuser des St. Marienstifts. In den uns vorliegenden Veröffentlichungen werden sein hohes Engagement für die Kranken, seine außerordentlichen wissenschaftlichen Tätigkeiten und sein exzellentes internationales Renommee hervorgehoben.
In den 1930er Jahren trifft auch Paul Lazarus die wachsende Judenfeindlichkeit. Obwohl er sich nicht zum jüdischen Glauben hingezogen fühlte und längst katholisch getauft war, galt er aufgrund seiner Herkunft als Jude. Im Juli 1933 wurde Lazarus vom Groß-Berliner Ärztebund e.V. mit „kollegial hochachtungsvollen“ Grüßen gezwungen, Angaben zur „Rassenzugehörigkeit“ zu machen (Dok.-Nr.4). Am 14. September 1933 entzieht ihm Der Preußische Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung“ die Lehrbefugnis an der Universität Berlin (Dok.-Nr. 5). Am 3. November 1933 verkündet eine Berliner Zeitung unter der Überschrift „Die neue Berliner Universität“, dass 117 Lehrende „ausgeschieden“ sind. Darunter auch Paul Lazarus (Dok.-Nr. 6).
Im St. Antonius-Krankenhaus gehen Schreiben ein, die Klagen von Kranken darüber anführen, „dass sie auch jetzt noch auf öffentliche Kosten in Berliner nichtstädtischen Krankenanstalten von jüdischen Ärzten behandelt werden. Da auch im St. Antoniuskrankenhaus noch Ärzte und andere Personen tätig sind, die nicht arischer Abstammung sind, sehe ich mich gezwungen, die Zuweisung von Kranken auf Kosten städtischer Stellen so lange zu sperren, als dem nicht abgeholfen ist“ (Dok.-Nr.7). Das St. Antonius-Krankenhaus reagiert darauf mit einem Verweis auf „ein ausführliches Gesuch an den Herrn Ministerpräsident Göring“ (Dok.-Nr. 8); „Der betreffende Arzt [gemeint ist Paul Lazarus] ist bereits seit 26 Jahren an dem im Eigentum der Kongregation der Marienschwestern befindlichen Krankenhäusern tätig und seit 38 Jahren katholisch.“ (ebd.) Das Gesuch an den Preußischen Minister des Innern, Ministerpräsidenten Hermann Göring durch das Krankenhaus und auch weitere Bemühungen und Fürsprachen angesehener Persönlichkeiten bleiben fruchtlos.
Anfang März 1936 erhält Paul Lazarus vom Vorstand der Marienstiftung die Mitteilung: „Sehr geehrter Herr Professor! Aus den Verordnungen vom 14.11.1935 und 21.12.1935 zum Reichsbürgersetz haben wir mit größtem Bedauern ersehen müssen, dass Ihr Verbleiben als leitender Arzt unseres St. Antonius-Krankenhauses sowie als Chefarzt der inneren Abteilung dieses Krankenhauses nicht weiter möglich ist, und mit dem 31.3.1936 auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen seine Beendigung finden muss. (…) Nehmen Sie, hochverehrter Herr Professor, zum Schluss die Versicherung entgegen, dass uns die Notwendigkeit der Trennung auf das schmerzlichste berührt. 28 Jahre haben wir uns Ihrer Mitarbeit an unseren Krankenhäusern erfreuen können uns haben Sie in dieser langen Zeit in steigendem Masse sowohl als Arzt wie als Menschen schätzen gelernt. Wir danken Ihnen aufs herzlichste für alles, was Sie an unseren Kranken und unseren Schwestern getan haben.“ (Dok.-Nr. 9) In diesem Dokument wird auch die Zusage für eine Ruhegeldregelung getätigt, die nicht eingehalten wurde.
„Ab 1935 musste sich Paul Lazarus wiederholt für unerheblich erscheinende Vorfälle bei der Gestapo verantworten“ (Kelbert 2007: 38). „Enge Freunde hatten Paul Lazarus schon früh zur Auswanderung geraten (…) Lazarus konnte sich allerdings noch nicht dazu durchringen, das Antoniuskrankenhaus (…) aufzugeben“ (ebd.). „Wie dringend tatsächlich die Ausreise für ihn war, merkte er im März 1937: Bei einer weiteren Verhaftung durch die Gestapo – die ihn nachts aus dem Bett ins Polizeipräsidium am Alexanderplatz holte und in der Mordabteilung verhörte – erlitt er einen Herzanfall“ (ebd.: 40).
Paul Lazarus, seine Frau Herta und die beiden Töchter sahen sich gezwungen, Ende 1937 Berlin und Deutschland zu verlassen. Sie emigrierten in die Schweiz. Nachfahren berichten, dass Paul Lazarus bei der von den Nazis erzwungenen Auswanderung Radium (das er wohl von Madame Curie in Paris gekauft hatte) in der Manteltasche mit sich trug. Es wird gesagt, dass wegen der Radioaktivität sein Bart rötlich geworden sei. Das Radium wurde dann später in der Schweiz verkauft und aus dem Erlös bestritt die Familie eine Zeitlang ihren Lebensunterhalt. Im Alter litt Paul Lazarus dann an Blutzersetzung wegen des, aus heutiger Sicht, leichtfertigen Umgangs mit der Radioaktivität.
An seine beruflichen Erfolge konnte Paul Lazarus in der Schweiz weder anknüpfen, noch seinen ärztlichen und wissenschaftlichen Tätigkeiten angemessen nachgehen. Beispielsweise war ihm eine Tätigkeit an einer Universität zugesagt worden, doch diese verfügte noch nicht über eine medizinische Fakultät. Auch seine deutsche Approbation war in der Schweiz nicht gültig. „Von einer Berufsausübung (…) kann keine Rede sein – abgesehen davon, dass ich in der Schweiz ohne Schweizer Examen keine Praxiserlaubnis erlangen konnte“ (Kelbert 2007: 59). Die Familie war auf (auch finanzielle) Unterstützung angewiesen (vgl. Kelbert 2007; Mertens 2017). Erst 1946 erhielt die Familie die Schweizer Staatsbürgerschaft (vgl. ebd.).
„Er [Paul Lazarus] hatte mit großer Ausdauer darum gekämpft, Entschädigung für das Unrecht zu erhalten, das er während des Nationalsozialismus erlitten hatte, und die Ergebnisse dieses quälenden Prozesses stellten weder eine erwähnenswerte Geldsumme noch eine moralisch angemessene Anerkennung dar“ (Kelbert 2007: 59).
Am 6. Oktober 1957 stirbt Paul Lazarus im Schweizer Exil.
„Lazarus ist mit seiner ganzen Kraft immer Arzt gewesen, d.h. Helfer, Freund seiner Patienten und besonders der Ärmsten unter ihnen. Er kämpfte leidenschaftlich auch bei dem aufgegebenen Fall und manchmal mit erstaunlichem Erfolg für das Leben derer, die sich ihm anvertrauten. Er suchte immer einen menschlichen Kontakt mit den Kranken. Er hat gemeinsam mit seiner Gattin unendlich viel Wohltätigkeit ausgeübt und kein Opfer gescheut, um ein Helfer zu sein.“ (Dessauer 1954: 484)
Quellen
Bundesarchiv (o. D.) Deulig Tonwoche (Video). Digitaler Lesesaal, Bundesarchiv. Verfügbar unter:
Dessauer, F. (1954): Paul Lazarus 80 Jahre, in: Strahlentherapie, 93, S. 478-484
Dok.-Nr.1: Brief Paul Lazarus an das Sanitätsamt des Garde-Corps, Berlin, 3. August 1914
Dok.-Nr. 2: Brief Paul Lazarus an Kurator Piontek, Berlin, 6. August 1929
Dok.-Nr.3: Brief Dr. Piontek und Generaloberin Mende, Breslau, 28. Februar 1930
Dok.-Nr.4: Fragebogen III, Berlin, 23. Juli 1933
Dok.-Nr.5: Entzug Lehrbefugnis, Berlin, 14. September 1933
Dok.-Nr.6: Zeitungsartikel „Die neue Berliner Universität. 117 Dozenten ausgeschieden – Neue Professoren und Vorlesungen“, 3. November 1933
Dok.-Nr.7: Brief des Staatskommissars zur Wahrnehmung der Geschäfte des Stadtmedizinalrats an das St. Antonius-Krankenhaus, Berlin, 8. August 1933
Dok.-Nr.8: Brief St. Antonius-Krankenhaus an die Geschäftsstelle der Ambulatorien des Verbandes der Krankenkassen Berlin, Berlin, 20. August 1933
Dok.-Nr.9: Brief Marienkongregation an Paul Lazarus, Breslau, 10. März 1936
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Kelbert, I.-B. (2007) Paul Lazarus (1873–1957): Pionier der Strahlentherapie. Leben und Werk. Dissertation, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen
Lazarus, P. (1928): Die physikalischen, chemischen und pathologischen Grundlagen der gesamten Strahlenbiologie und -therapie, München: J.F. Lehmann
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Mertens, J. (2017): Das St. Antonius-Krankenhaus in Berlin-Karlshorst im Jahr 1945. In M. Höhle (Hrsg.), Wichmann-Jahrbuch des Diözesangeschichtsverein Berlin, 1. Auflage, Heiligenstadt: FW. Cordier Heiligenstadt, S. 169-173
Murken, A. H. (1982): Grundzüge des deutschen Krankenhauswesens von 1780 bis 1930 unter Berücksichtigung von Schweizer Vorbildern, in: Gesnerus 39 (1982), S. 7-45
Scherer, E. (2007) Paul Lazarus (1873–1957): Ein Rückblick auf Leben und Werk. Strahlentherapie und Onkologie, München: Urban & Vogel, S. 290–291
Verlohren, U. (2019): Krankenhäuser in Groß-Berlin. Die Entwicklung der Berliner Krankenhauslandschaft zwischen 1920 und 1939, Berlin: be:bra Verlag
Voswinckel, Peter (2022): Lazarus-Gedenksymposium. Von einer anonymen Ikone zu einer Person mit Schicksal und Vermächtnis, in: Beiträge aus den DGHO-Mitgliederrundschreiben 2012-2021, Hrsg. Eisele, H., A. Hochhaus, M. de Wit, C.-O. Schulz, DGHO Berlin, 17-18
Weigmann, B. (1985): Die Entwicklung des St. Antonius-Krankenhauses von 1930 bis 1983.Berlin: Humboldt-Univ., med. Diss.
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